Udos Sci-Fi Blog

20211013-blog-duselei

Unlängst hatten wir hier an dieser Stelle das Thema ›Dialoge vs. Storytelling‹. Dabei stellte ich die Behauptung auf, dass Dialoge eine Geschichte nicht nur lebendig machen können, sondern auch der Tiefe der daran beteiligten Character dienlich sind. Nach einer sehr offenen Rezension meiner lieben und sehr geschätzten Freundin Renate W., zu meinem Roman ›Das GINGER-Komplott‹, fühle ich mich genötigt, meine Aussagen in jenem Blog zumindest teilweise zu revidieren.

Wobei ich die grundsätzlichen Aussagen durchaus so stehen lassen möchte. Dialoge haben die Stärke, einer Handlung mehr Leben einzuhauchen, sie überhaupt erst lebendig zu machen. Und selbstredend verleihen sie den daran beteiligten Figuren deutlich mehr Tiefe, Profil und Griffigkeit.

Aber eben nur dann, wenn diese Dialoge zielführend sind und nicht nur flaches Gesabber wiedergeben.

Im vorliegenden Fall der Dialoge im ersten Drittel meines Buchs ›Das GINGER-Komplott‹, ist das zumindest strittig. Oder kann wenigstens so empfunden werden.

Dabei kommt es allerdings ganz entscheidend auf den persönlichen Blickwinkel an. Denn wer sich aufgrund des von mir gewählten Klappentextes auf die Geschichte einlässt, fragt sich zu Beginn der Geschichte, was er denn mit diesen ewigen Dialogen um des Kaisers Bart anfangen soll. Speziell jenen zwischen Jonathan Simpson und GINGER …

Jetzt fragen Sie sich natürlich zu Recht, wie ein Autor dazu kommt, Derartiges über Dinge zu schreiben, die er ja höchstselbst zu verantworten hat. Die Antwort ist einigermaßen kurios: Weil er selber die alleinige Verantwortung für alles trägt. Denn im Gegensatz zu Verlagsautoren, hinter denen die gesamte Maschinerie eines professionellen Verlags steht, entscheidet im vorliegenden Fall der Autor ausschließlich allein. Und zwar in allen Belangen.

Dabei ist er vor falschen Entscheidungen nicht gefeit. Zumindest nicht, wenn ihm noch entsprechende Erfahrung fehlt.

Zur Erklärung: Als der Autor die Geschichte in Angriff nahm, interessierte ihn vor allem das Verhalten seines Protagonisten Jonathan Simpson auf den Umstand, dass man ihm eine androide Sexpuppe liefert – die er nie bestellt hatte. Meine Idee war, die Peinlichkeit einer solchen Lieferung aufzuzeigen – und gleichzeitig den Konflikt mit sich selbst, wenn es darum geht, wie man sich schnell und schmerzlos aus dieser Peinlichkeit befreit. Nämlich indem man das Paket samt Inhalt einfach an den Absender zurückschickt und sich weitere Sendungen verbittet.

Der Haken daran: Man denkt im Traum nicht daran dieses wunderbare Geschöpf – denn um ein solches handelt es sich – wieder herzugeben.

Gleichzeitig entstehen daraus allerdings weitere Konflikte mit sich selbst. Die da sind

  • Unfähigkeit, sich mit einem seelenlosen Automaten zu paaren
  • Unfähigkeit, dieses wunderbare Geschöpf überhaupt als seelenlosen Automaten zu betrachten
  • Unfähigkeit, die eigene Befangenheit zu überwinden, die aus dem Konflikt entsteht, dass man einerseits dieses Geschöpf nicht als seelenlosen Automaten betrachten will – und dem Wissen darum, dass es eben doch etwas ist, das man als seelenlosen Automaten betrachten könnte
  • Eine grundsätzliche Veranlagung, die es einem verbietet, die eigene Geilheit über den Respekt vor was auch immer zu stellen.

Diese Konflikte beherrschen praktisch die Handlung des ersten Drittels des Romans. Und zwar ohne je auch nur andeutungsweise in die Nähe von Pornografie abzurutschen. Wodurch auch Leser unbefriedigt bleiben, die gegen ein solches Abrutschen rein gar nichts einzuwenden gehabt hätten.

Verprellt sind aber zu diesem Zeitpunkt auch alle Leser, die sich beim Kauf des Buchs auf den Inhalt des Klappentextes verlassen hatten. Denn der geht nicht im Geringsten auf die Gewissensnöte des Protagonisten ein, sondern spricht vor allem von den gesellschaftlichen Verhältnissen, in der die Geschichte spielt. Von den Auswüchsen, die ein reiner Raubtier-Kapitalismus auf Religion und gesellschaftliche Verhältnisse hat.

Der Fokus der Geschichte ändert sich

Das ist dann letztendlich zunehmend auch Thema der fortschreitenden Handlung der Geschichte. Aber eben erst nachdem die eingangs erwähnte Thematik abgehandelt wurde. Und da ist es möglicherweise für den einen oder anderen Leser, der sich aufgrund des Klappentextes auf die Lektüre eingelassen hatte, zu spät. Wie die dankenswert offene Rezension von Regina W. eindeutig vermittelt.

Ist deshalb ›Das GINGER-Komplott‹ eine misslungene Geschichte, die ganz anders hätte geschrieben werden müssen?

Nun, nach meiner Ansicht ist nicht die Geschichte misslungen, sondern der Klappentext. Weil er ganz bewusst die psychologische Komponente des ersten Drittels der Geschichte ausklammert und versucht, die dystopischen Elemente der Handlung ins Zentrum zu stellen.

Hätte die Geschichte auch funktioniert, wenn man die emotionalen Spannungen zwischen dem Protagonisten und GINGER ausgespart hätte?

Ganz sicher. Aber nur, wenn der Protagonist GINGER genau so behandelt hätte, wie das vom Absender geplant war. Inwieweit sich diese dann in Jonathan Simpson hätte verlieben können, muss dahingestellt werden. Möglicherweise allerdings hätte es dennoch Möglichkeiten gegeben, dass die Androidin zu einem Symbol mutiert. Wahrscheinlich wäre diese Figur wesentlich abgründiger geworden, hätte wohl sogar mehr Profil entwickelt und wäre der Geschichte insgesamt dienlicher geworden. Dummerweise aber lag mir eigentlich mehr an der eingangs geschilderten Situation. Weniger an einem spannenden dystopischen Roman, mit einer abgründig-geheimnisvollen Androidin im Zentrum.
Zu behaupten, dies sei ein Ergebnis des Direct Storytelling, wäre ein unangebrachtes Ablenkungsmanöver. Es ist der Vorliebe des Autors für gefühlsduseliges Handeln seines ihm hilflos ausgelieferten Protagonisten geschuldet.

Da kann man nix machen …

Herzlichst Ihr

Udo Kübler