Udos Sci-Fi Blog

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Für mich eine ganz, ganz wichtige Frage

Da ich ja als Direct Storyteller stets direkt am Geschehen beteiligt bin – ja meist sogar von ihm regelrecht überrascht werde – ist es für mich oft nicht ganz einfach, mich vom unmittelbaren Geschehen zu lösen. Und dieses unmittelbare Geschehen sind oft genug verbale Auseinandersetzungen, Dispute, Diskussionen – kurz, Dialoge. Diese haben für mich haben für mich den Vorteil, dass sie nicht nur die momentane Situation beschreiben, sondern über die Tonalität aufzeigen, wie die Stimmung zwischen den Beteiligten ist (locker, ernst, angespannt, traurig etc.). Dialoge verleihen Figuren Charakter und Tiefe. Für mich werden sie erst wirklich greifbar und lebendig, wenn sie sprechen. Wie im echten Leben eben auch.

Der Nachteil von zu vielen Dialogen ist ein verhältnismäßig langsamer Handlungsfluss. Denn ein Disput oder eine Diskussion kann sich sehr schnell über mehrere Seiten hinziehen, während am Ende gerade einmal ein paar Minuten Zeit der Handlung vergangen sind.

Ganz anders beim Erzählen ohne Dialog

Hier können wenige Sätze sehr große Zeitspannen der Handlung beschreiben und diese dadurch vorantreiben.

Auch beim Storytelling können die beschriebenen Figuren sehr lebendig werden und an Profil gewinnen. Aber eben „von außen“, durch ihre Beschreibung. Während sie sich im Dialog quasi selbst erklären. Was meiner Meinung nach eine ganz andere Qualität besitzt.

Nun ist es ja nicht so, dass ich mich zu einer der beiden Stilarten zwingen müsste, weil ich die andere weit mehr schätzen oder sie mir mehr liege würde. Meine Leidenschaft ist es mindestens ebenso sehr, zu erzählen und zu fabulieren, wie Dialoge „mitzuschreiben“. Das Dumme ist dabei leider die Direktheit, mit der die Geschichte, die Handlung auf mich einströmt.

Oft ist es ein lapidarer Satz, der ohne Antwort oder Reaktion einfach nicht stehenbleiben kann. Ruckzuck ergibt ein Wort das andere. Und ehe man sich versieht, steht da plötzlich ein handfester Dialog, der zwar durchaus unterhaltsam, lustig, emotional und sogar anrührend sein kann – aber dem Fluss der Handlung eben nicht unbedingt dienlich ist. Weshalb ich mich selber rasch einfangen muss, um eben auch dem Fortgang der Geschichte gerecht werden zu können.

Wie stehen eigentlich Sie, geneigter Leser, geneigte Leserin zu diesen beiden Spielarten des Geschichtenerzählens?

Wenn ich ehrlich bin, gibt es sogar Filme oder Theaterstücke, bei denen es ein Erzähler oder wenigstens eine Stimme aus dem Off ist, die der Handlung erst die besondere Stimmung verleiht. So ist es bei Arthur Millers „Unsere kleine Stadt“ gerade die sehr ungewöhnliche Figur eines Erzählers, dessen physikalische Präsenz auf der Bühne und seine expliziten Hinweise, die den entsprechenden Szenen erst diese wirklich anrührende Tiefe gibt. Ohne Schwulst und Geschwafel wird dadurch ein geradezu heiliger Ernst generiert, der auch sehr kleinen und einfachen Szenen einen Bedeutungsschub verleiht.

Bei Raymond Chandler-Verfilmungen, mit Humphrey Bogart als Phil Marlow, ist es diese coole Stimme aus dem Off, die den entsprechenden Szenen diesen speziellen Touch verleiht, aus dem uns Gefahr oder Geheimnis entgegenweht und der uns unwillkürlich wohlig frösteln lässt.

So viel zu den Möglichkeiten eines geschickten Erzählstils …

Wie aber willst du den nachfolgenden Dialog toppen, indem du davon nur berichtest?

»Sie bitten um Asyl?«, fragte die Stimme aus dem Com, der man eine gewisse Irritation anhörte. »Können Sie das näher erläutern?«
»Nun ja, meine Begleiterin und ich kommen von Bolbatok«, erklärte Mungo Dall. »Wir sind von dort mehr oder minder geflohen und suchen jetzt Schutz in der Obhut von Antris.«

Es dauerte einen Moment, bis die Stimme antwortete. »Das ist eine sehr ungewöhnliche Situation. Bisher hat noch nie jemand hier um Asyl gebeten.«.
Als die Stille zu lang zu werden drohte, ergriff der Cyborg wieder das Wort. »Was soll ich dazu sagen?«
Die kurze Pause vor der Antwort wirkte wie ein stummes Räuspern. 
»Wir brauchen in jedem Fall wesentlich mehr Informationen.«
»Fragen Sie. Ich werde antworten.«
»Sie sprachen von einer Begleiterin. Wer ist diese Person?«
Es handelt sich um mich, Lydia Casagrande«, antwortete die, bevor es Mungo Dall konnte. »Mir geht es vor allem darum, dass dieser Idiot Falcone y Quastel seine Finger von der blöden Ziege Griselda lässt. Das werden Sie doch hoffentlich verstehen, oder? Denn wenn du dich mit den Maripusis einlässt, stehen dir im nächsten Moment die Macaramandos auf dem Hof. Und das kann ja wohl auch nicht euer Interesse sein. Stimmt’s?«
»Also … Wie soll ich sagen …«
»Dann sagen Sie halt nichts, verstehen Sie? Wahrscheinlich haben Sie ja sowieso nichts zu sagen, sondern müssen nur hier draußen rumhuschen und Leute erschrecken, stimmt’s? Na, mir ist es egal. Wahrscheinlich muss ja irgendwer diesen Job machen, oder? Sonst hockt bald die halbe Welt bei euch in der Bude, frisst sich durch und säuft euren Schampus, was? Bei uns allerdings …«
»Frau Casagrande!«
»… bei uns liegt die Sache etwas anders. Unsere Interessen und eure Interessen …«
»Frau Casagrande! Bitte!«
»… die liegen ja nun weiß Gott nicht allzu weit auseinander. Wie man weiß, ist man ja hier auf …«
»FRAU CASAGRANDE! WENN SIE NICHT AUGENBLICKLICH IHREN MUND HALTEN, WERDE ICH IHR SCHIFF IN STÜCKE SCHIESSEN!« Die Stimme hatte eine derartige Gewalt, dass man das Gefühl hatte, das Schiff würde allein davon in Stücke brechen.
Immerhin aber stand die Casagrande da, als hätte sie gerade die sieben apokalyptischen Reiter vorbeireiten sehen. Sie hatte riesige Augen, presste die Hände an die Ohren und ihr Mund war ein riesiges Loch. Dann aber schrie sie los: »Sind Sie noch bei Trost, Sie Idiot! Ich werde Ihrem Chef empfehlen, Sie zu erschießen für diesen Wahnsinn! Wissen Sie überhaupt …«
»Ruhe jetzt! Sie werden mir jetzt erst einmal alle Fragen beantworten, die mir für Sie einfallen! Und zwar kurz, knapp und präzise! Haben Sie das verstanden?«
»Was bilden Sie sich denn eigentlich ein, Sie ignorantes Wesen, Sie? Wissen Sie überhaupt, mit wem Sie es hier zu tun haben? Ich …«
»Das ist ja das Problem! Wir wissen es nicht – würden es aber gar zu gerne wissen. Also klären Sie uns auf!«
Die Casagrande holte tief Luft. »Wie gesagt, ich bin Lydia Casagrande!«
»Das hatten Sie bereits gesagt. Und weiter?«
»Was heißt hier weiter? Eigentlich gibt es da nicht mehr viel zu sagen.«
»Tatsächlich? Woher kommen Sie? Was ist Ihre normale Tätigkeit? Was sind Ihre Ziele? Los jetzt!«
»Woher ich komme? Na, hören Sie mal! Das weiß ja jedes Kind! Das können Sie irgendein x-beliebiges Gör auf irgendeiner Straße hier im Universum fragen. Es wird sofort und ohne nachzudenken rufen: Die Casagrandes kommen selbstverständlich ursprünglich aus Sizilien! Ebenso die Panettas übrigens! Auch wenn die ursprünglich von Mallorca stammen. Letztendlich sind sie dann aber doch …«
»Wir wollen eigentlich nicht wissen, woher Ihre Ahnen stammen, sondern woher Sie kommen!«
»Aber das hat doch mein Freund Mungo Dall bereits gesagt. Wir kommen beide von Bolbatok.«
»Ich meinte aber nicht, woher Sie jetzt gerade kommen, sondern von wo Sie dahin gekommen sind.«
»Wohin?«
»Nach Bolbatok.«
Lydia stutzte. »Das wollen Sie wissen?«
»Ja. Und ich möchte auch wissen, wie.«
Lydia lachte entgeistert auf. »Mamma mia! Wie schlimm muss nur Ihre Kindheit gewesen sein, wenn Sie heute solche Sachen wissen wollen!«
»Ich hatte gar keine Kindheit, gnädige Frau. Ich bin nämlich ein Cyborg, müssen Sie wissen. Und als solcher habe ich null Zeitgefühl, wenn ich in den entsprechenden Modus gehe. Damit will ich sagen, wir können dieses Spiel hier gerne die nächsten sechstausend Jahre spielen. Ich habe Zeit.«
»Dachte ich mir’s doch gleich, dass du so’n blöder Blech-Heini bist«, murmelte sie mehr zu sich selbst und verzichtete auf eine direkte Antwort.
»Mit Ihrer Erlaubnis werde ich Ihnen alle Fakten und Daten geben, Kommandant«, mischte sich da Mungo Dall wieder ein. Er war heilfroh, diese Gelegenheit bekommen zu haben.
»Versuchen wir es doch noch mal«, sagte der Kommandant.

Aus Kampfengel, 2020

Noch Fragen?

Herzlichst Ihr

Udo Kübler

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